"Unsere Absolventen sollten ihre eigenen Jobs schaffen können"
"Internationale Kompetenzen erwünscht" – heutzutage ist es nahezu unmöglich, dass ein deutscher Ingenieurabsolvent in einer Stellenausschreibung NICHT über diesen Passus stolpert. Tatsache ist: Die Globalisierung ist in vollem Gange. Design- und Fertigungsprozesse basieren immer stärker auf innovativen Ideen, intelligenten Technologien und qualifizierten Mitarbeitern, die Wissen und Leidenschaft für ihre jeweiligen Themen mit einer unternehmerischen Denkweise verbinden.
Ingenieursnachwuchs wird händeringend gesucht. Entsprechend gehören Partnerschaften mit Universitäten und Bildungseinrichtungen im Bereich Forschung und Entwicklung längst zum "guten Ton". Für deutsche Unternehmen, die auf dem US-Markt aktiv sind und hier selbst eine Niederlassung betreiben, ist der südliche Bundesstaat Georgia ein sehr attraktiver Standort mit wertvollen Wettbewerbsvorteilen.
Das wirtschaftliche Klima ist ausgesprochen „business-friendly“. Daraus entwickelte sich über die Jahre ein dynamisches Netzwerk aus Unternehmen, politischen Akteuren, Universitäten und Forschungseinrichtungen.
Wir haben mit Dr. Steve McLaughlin gesprochen. Professor McLaughlin ist Dekan und Lehrstuhlinhaber am „College of Engineering“ der renommierten University of Technology in Georgia (kurz: Georgia Tech). Mit mehr als 450 Dozenten und 14.000 Studenten ist das College of Engineering das größte Ingenieurkolleg der Vereinigten Staaten.
Im Jahr 2014 gründete Dr. McLaughlin CREATE-X. Ziel der campusweiten Initiative ist es, Studenten unternehmerisches Denken und Selbstbewusstsein zu vermitteln – und sie bei der Gründung eigener Unternehmen zu unterstützen. Insgesamt ist die Internationalisierung ein Thema, das der engagierte Professor Steve McLaughlin leidenschaftlich verfolgt – mit großem Erfolg.
Lieber Herr Dr. McLaughlin, Deutschland ist eine Ingenieursnation. Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen sieht der Arbeitsmarkt für Absolventen hervorragend aus, lange muss kaum jemand suchen. Im Gegenteil – viele Unternehmen haben es schwer, geeignete Nachwuchstalente zu finden. Entsprechend werden Stellen häufig auch international ausgeschrieben.
Als globale Technologie-Universität mit Lehr-, Forschungs- und Innovationspartnerschaften in mehr als 60 Ländern ist Georgia Tech eine sehr interessante Institution für deutsche Unternehmen. Das "College of Engineering" ist die größte Ingenieurschmiede des Landes – und genießt einen sehr guten Ruf. Welche Vorteile haben Sie gegenüber anderen US-Universitäten, die einen ähnlichen Erfolg anstreben?
Steve McLaughlin: Zum einen ist es unsere Größe selbst, die einen wichtigen Stellenwert einnimmt. In einigen Schlüsselbereichen bringt Georgia Tech beispielsweise mehr als zehn bis 15 Prozent aller Absolventen des entsprechenden Zweiges hervor. Nehmen wir zum Beispiel die Luft- und Raumfahrt, die Biomedizin und das Wirtschaftsingenieurwesen – in all diesen Fächern kommen mehr als zehn Prozent aller Absolventen der landesweit 500 Ingenieurstudiengänge in den USA von unserer Hochschule. Diese gewaltige Zahl stärkt natürlich den Talentpool für die US-amerikanische und globale Industrie.
Weiterhin setzen wir bei der Ausbildung unserer Studenten klare globale Prioritäten. Heute verfügen 55 Prozent unserer Absolventen über internationale Erfahrung, zum Beispiel durch Auslandssemester, Praktika oder Forschungsprojekte. Der nationale Durchschnitt in den USA liegt bei zehn Prozent. Unser globales Engagement ist uns sehr wichtig.
Auch unsere unternehmerischen Bemühungen unterscheiden uns von vielen anderen Universitäten. Wir unterstützen den Wunsch unserer Studenten, eines Tages vielleicht selbst ein Unternehmen zu gründen.
In den letzten fünf Jahren haben wir allein aus unserer Studentenschaft 160 Start-ups gegründet – das ist zum einen unserer Strategie, aber auch unserer Größe geschuldet. Etwa 14.000 angehende Ingenieure studieren hier an der Georgia Tech – das macht unser Programm zum größten seiner Art in den USA.
Georgia Tech ist ein wertvoller Bestandteil des wirtschaftlichen Ökosystems des Bundesstaates. Erst vor wenigen Wochen wurde Coda, das Flaggschiffgebäude für den Technologieplatz des Instituts, eröffnet. Coda wurde entwickelt, um die Zusammenarbeit zwischen der Forschung –Studenten eingeschlossen – und der Industrie aktiv zu fördern. Das kann zu neuen Technologien führen. Können Sie uns noch ein wenig mehr über diese Technologien erzählen?
Steve McLaughlin: Bei Coda geht es um Datenwissenschaft, insbesondere maschinelles Lernen und große Datenmengen – sogenannte BigData. Alle dort ansässigen Professoren und Studenten sind auf bestimmte Aspekte rund um diese Themen spezialisiert. Einige von ihnen sind gesundheitsbezogen, andere konzentrieren sich auf Cybersicherheit, Energie oder Smart Cities – wir haben eine Reihe von sogenannten "Forschungsquartieren" gegründet.
Derzeit sind wir dabei, den Sitz von rund 80 Professoren und ihre Forschungsprogramme in das Coda-Gebäude zu verlegen. Es ist ein perfekter Ort für uns, um mit Unternehmen in den entsprechenden Themengebieten zusammenzuarbeiten. Coda ist ein wirklich spannender Ort – und gleichzeitig Teil des großen und wachsenden Ökosystems aus Unternehmen und Start-ups in Atlanta.
Gibt es aktuelle Forschungsprojekte Ihrer Studenten, auf die Sie besonders stolz sind?
Steve McLaughlin: Es gibt bei uns etwa 2.500 Projekte in der Forschung, aber ich möchte gern zwei Bereiche skizzieren, von denen wir glauben, dass wir uns hier in der weltweiten Spitze positionieren. Unsere Studenten tragen zu diesem Erfolg sehr stark bei.
Einer dieser Bereiche ist Cybersicherheit. 400 bis 500 Mitarbeiter befassen sich im Wesentlichen mit allen Themen, die Sie sich bei diesem Thema vorstellen können – von der Privatsphäre, über Richtlinien zum Datenschutz, bis hin zur Netzwerksicherheit. Sie erforschen, wie wir Hacker erkennen und feststellen können, wo sie sich befinden. So gelingt es, ihre Schwachstellen zu identifizieren.
In einem ganz anderen Forschungsbereich liegt unser Fokus auf dem Thema Gesundheit und neuartigen Immun- und Stammzelltherapien. Wir verfügen wahrscheinlich über eine der ausgeprägtesten Expertisen im Bereich der Stammzellherstellung.
Der Hintergrund: Normalerweise gewinnen Sie Stammzellen von einem Patienten, verändern sie gegebenenfalls und führen sie dann dem Körper wieder zu. In der Regel müssen Sie dabei die Anzahl der Stammzellen, die Sie transplantieren möchten, erhöhen.
Wir betrachten das als einen Herstellungsprozess. Georgia Tech verfügt über einen großen Erfahrungsschatz im Bereich Fertigung als Ganzes. Wenn man den beispielsweise aus der Logistik bekannten Ansatz der Hochskalierung verfolgt und dieses Wissen auf das Gesundheitswesen anwendet, ergeben sich hochinteressante Schlussfolgerungen. Jüngst haben wir in diesem Bereich $100.000.000 Dollar Finanzierungsgelder erhalten.
2014 haben Sie CREATE-X mitbegründet, eine campusweite Initiative, die Studierenden unternehmerisches Vertrauen vermitteln und ihnen bei der Gründung eigener Unternehmen behilflich sein soll. Können Sie uns ein wenig mehr über dieses Projekt erzählen?
Steve McLaughlin: Eine der wichtigsten Lektionen, die jeder Absolvent heute benötigt, ist die Fähigkeit, seinen eigenen Job zu schaffen. Das klingt jetzt etwas plakativ und bedeutet nicht unbedingt, dass sie selbst Unternehmen gründen müssen. Vielmehr ist eine unternehmerische Denkweise rund um Innovationen und neue Ideen heute wertvoller denn je. Den meisten Studenten ist heute bewusst, dass sie während ihrer gesamten Karriere viele Jobs haben werden. Entsprechend ist unternehmerisches Denken so wichtig.
CREATE-X besteht aus drei Kernbereichen, die wir LEARN, MAKE und LAUNCH nennen. Entsprechende Kurse und Workshops sollen unseren Studenten helfen, "unternehmerisches Selbstvertrauen" zu gewinnen. In den letzten fünf Jahren haben bereits rund 3.000 unserer Studenten dieses Programm durchlaufen. Es wurden 160 Start-ups initiiert.
Start-ups, die das CREATE-X-Programm durchlaufen haben, haben bereits Dutzende neuer Arbeitsplätze geschaffen. Am jährlichen Preview Day gewähren fast 50 Studenten-Start-ups einen Einblick in ihre Projekte und Konzepte. Wie wichtig sind solche Networking-Events für das dynamische Ökosystem insgesamt? Wie profitieren etablierte Unternehmen davon?
Steve McLaughlin: Wir hören oft von den Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, dass sie sich innovative Talente wünschen. Sie wollen nicht nur Ingenieure, die in ihrem Handwerk oder ihren Disziplinen kompetent sind, sondern jene, die eine innovative Kultur in die Unternehmen einbringen können.
Beim Preview-Day geht es wirklich darum, dass unsere Studenten ihre Ideen etablierten Unternehmen präsentieren. Diese Unternehmen kommen, um mögliche Talente zu entdecken und auch Ideen über potenzielle Partnerschaften zu gewinnen. Im Zweifel wollen sie sich sogar an einem Start-up beteiligen.
Viele größere Unternehmen erkennen dabei nicht nur innovative Köpfe. Oft bemerken sie auch, dass es sich lohnt, in die Start-ups zu investieren, um Beziehungen aufzubauen.
Was raten Sie europäischen Unternehmen, die von dem Talent der Georgia Tech-Studenten und -Absolventen profitieren wollen?
Steve McLaughlin: Der persönliche Kontakt ist sehr wichtig. Wir verbringen gerne Zeit mit Unternehmen, die an unseren Studenten und unserer Forschung interessiert sind. Sie sollten auf jeden Fall nach Atlanta kommen. Entsprechende Treffen habe ich täglich etwa ein- bis zweimal. Georgia Tech ist eine sehr wirtschaftsfreundliche, der Industrie zugewandte Institution. Unternehmen sind hier immer willkommen. Wir besprechen gerne Möglichkeiten einer Zusammenarbeit.
Aus europäischer Sicht ist auch unser Campus im französischen Metz spannend. Metz liegt nur etwa 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Wir sind seit 30 Jahren dort aktiv und haben mittlerweile über 700 Schüler auf dem hiesigen Campus. Es ist ein toller Ort, an dem europäische Unternehmen mit unseren Studierenden und unserer Forschung in Kontakt treten können.
Wenn Sie nicht arbeiten – wie verbringen Sie in Atlanta gerne Ihre Freizeit?
Steve McLaughlin: (lacht) Gefühlt habe ich gar nicht so viel davon. Aber wenn ich die Gelegenheit dazu habe, reise ich gerne. Ich bin auch leidenschaftlicher Golfer und genieße das schöne Wetter in Atlanta sehr. Insgesamt verbringe ich gern und viel Zeit im Freien.
Vielen Dank für das Interview!
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